Stigma der Mogelei 

Andersgesehen: Warum der Papst Recht hat 

Als "Verdunkelung" des kirchlichen Zeugnisses für den Lebensschutz hat der Papst das Ausstellen von Beratungsscheinen nach dem deutschen Abtreibungsrecht bezeichnet. Ohne Zweifel stimmt das. Die entgegenstehenden Beteuerungen, man dürfe Frauen in Not nicht allein lassen und nur auf die eigene weiße Weste achten, mögen schnell dahingesagt oder schwer errungen sein; aber sie ändern nichts daran, dass dem Mittun bei einer fortwährend als Skandal angeprangerten Sache der Makel des Zwielichtigen anhaftet, das Stigma der Mogelei.

Für die jetzt in Aussicht genommene Lösung - Mittun unter Behauptung des Gegenteils - gilt das erst recht. Politiker, Sozialrepräsentanten und Öffentlichkeit, die in den vergangenen Tagen unisono den Verbleib der Katholiken in der Konfliktberatung erbetteln oder herbeidrohen wollten, schert die Glaubwürdigkeit der Kirche wenig. Sie haben, wie jedermann bei jeder Abtreibungsregelung, ein latent schlechtes Gewissen, und sie wollen es erleichtern durch das beruhigende Gefühl, die Bischöfe seien mit von der Partie. 

Das ist ein begreifliches Interesse, aber es kann nicht Sache der Kirche sein, ihm zu willfahren. Sie darf taktieren und Kompromisse schließen, das ist guter katholischer Brauch. Aber sie darf sich nicht zum Ausputzer und Lückenbüßer machen lassen für eine Mentalität, die jede Freiheit will und den apostolischen Segen noch dazu. Es geht nicht um ein neues Abtreibungsrecht; die Gesetzeslage bleibt in jedem Fall, wie sie ist - wir leben in einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft, nicht in einem Gottesstaat. Die Stimme der Kirche ist eine unter vielen, aber gerade deshalb hat sie klar und unverwechselbar zu sein. Es gibt eine entschiedene katholische Position in der Abtreibungsfrage, fand die muss vertreten werden, in Wort und Tat - dann mögen sich die freien Bürger eines freien Landes frei dazu verhalten. Das ist der Dienst der Kirche am Gemeinwohl, nicht das zwanghafte Dabeisein, um hier Vorteile zu ergattern und dort Schlimmeres zu verhüten. Die harte römische Linie passt besser in eine offene Gesellschaft als das bundesdeutsche Schummelchristentum. 

Aus: Die Zeit, 24. Juni 1999

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Last update: 06. Februar 2001 14:14